Kapitel 5 – Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit
Ingolfur Blühdorn, Professor für soziale Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat zusammen mit verschiedenen Autoren ein bemerkenswertes Buch geschrieben über die Frage:
„Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet“.
Eine Antwort versuche auch ich seit Jahrzehnten zu finden. Man sollte annehmen können, dass es in „der“ Gesellschaft ein grundsätzliches Verständnis dafür geben sollte, seine Umwelt erhalten zu wollen, um für sich, seine Familie und auch für künftige Generationen in und mit einer lebenswerten Natur leben zu können und nicht nur von der Natur.
Ökologische Betrachtung
Leider musste ich in meiner langen Tätigkeit für eine sinnstiftende ökologische Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns feststellen, dass es nicht möglich ist, mit dem Schwerpunkt „sozio-ökologische Transformation“ „irgendeinen Blumentopf zu gewinnen“.
Allenfalls konnte man leidlich, gegen erheblichen Widerstand, ein paar soziale Errungenschaften durchsetzen, gegen das allmächtig (er-)scheinende (neo-) klassische Wirtschaftsdenken, das seit Jahrzehnten mit dem neo-liberalen, utilitaristischen, libertären und globalisierten Wirtschaftstreiben, das zusammen mit dem modernen, zügellosen Finanzkapitalismus kaum Schranken hatte und hat.
Das Geld- und Finanzsystem hat sich mittlerweile sogar erfolgreich vom wirtschaftlichen Tun mit und von Gütern und Dienstleistungen abgekoppelt. Jede Erschütterung, die sich auf den Finanzmärkten auftut oder auftun könnte, wird mit der Zerstörung von Wohlstand gleichgesetzt. Diese „Wohlstandsverluste“ hätten ihre Ursache angeblich in der Begrenzung von freier Marktwirtschaft. Gesellschaften sind mittlerweile so phlegmatisch, dass sie nicht mehr hinterfragen, wessen Wohlstand denn gemeint sein könnte.
Die Suggestionskraft der Unreflektiertheit garantiert das Spiegelbild als Antwort: „Natürlich mein eigener Wohlstand.“
Vielmehr zeigen die Reaktionäre von der „Rechten Liga“, dass das aktuelle Wiedererstarken fossil gespeister Wirtschaftssysteme eher wahrscheinlich zu einer „Wiedererstarrung“ einer wirtschaftlich fossilen Orientierung gesellschaftlicher BIP-Wohlstandsideen führen wird.
Die Reaktionäre von der „Linken Liga“ mit ihrem klassenkämpferischen Aufbäumen einer weltvereinigenden Antikolonisierungstheorie verstärken das Erstarren weiter. Zwei Ideologiewelten sind sich „einig“ in der Uneinigkeit. Dabei wird es in der Weltstube immer wärmer, aber auch feuchter, trockener, windiger, sonniger, staubiger …
Sozialwissenschaftliche Betrachtung
Die Autoren des Buches „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ (NNN) führen eine in meinen Augen sehr gute Analyse der gesellschaftlichen Gegebenheiten aus soziologischer Sicht durch.
(1-Alarmismus)
Sie beginnt mit dem ewigen Argument des Alarmismus der ökologischen Bewegung: „Es ist fünf vor Zwölf. Wende oder Ende!“, „Es sei jetzt zu spät, es sei nun nichts mehr zu ändern.“
Interessant ist, dass es andererseits bei den „Wohlstandswächtern“ der Wirtschaftsliberalen auch irgendwie andauernd „Eine Minute vor Zwölf ist.“
Nach meiner Auffassung führen bereits diese Vorgedanken dazu, die nicht-ökologisch orientierte Bevölkerung zum nicht-nachhaltigen Handeln zu bewegen. Warum soll man denn etwas tun und dafür Geld ausgeben und den (eigenen) Wohlstand reduzieren, wenn sowieso „alles“ zu spät ist?
Mich wundert, dass die Alarmismus-Uhr offensichtlich seit Jahrzehnten stillsteht oder zumindest sich in der Nähe eines Schwarzen Lochs befinden müsste, weil die Zeit langsam vergeht.
Leute, der Klimawandel kommt nicht, er ist bereits da. Und wir werden uns „warm anziehen“ müssen. Und wir werden Lösungen finden, das Drama oder gar „die Apokalypse“ zu verlangsamen oder möglicherweise sogar abzuwenden. Wir müssen dieser Tragödie aber die entsprechende Heiterkeit entgegenstellen und statt all der machbaren Anpassungsoptionen endlich die wirksamen Anpassungsoptionen voranstellen.
Größte Herausforderung der Menschheit
Es gibt das vielfach zitierte Statement aus Politik und Gesellschaft, dass der Klimawandel „die größte Herausforderung und Bedrohung für die Menschheit“ ist. Und wir handeln, wie wir handeln mit Nicht-Nachhaltigkeit?
Natürlich sind wir Menschen ständig abgelenkt durch andere akute „größte Herausforderungen“, wie die Finanzkrise mit der nachfolgenden Staatsschuldenkrise, mit der Corona-Pandemie, mit dem Ukraine-Krieg und der nachfolgenden Energiekrise ...
Liebe Lesende, seid sicher, es werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch viele Ablenkungen kommen, um die Klimaerwärmung nicht ernst zu nehmen.
(2-reaktionäres Verhalten)
Vielmehr reagieren erhebliche gesellschaftliche Kräfte mittlerweile mit reaktionärem Konservativismus. Das sind nicht nur rechtspopulistische Kräfte, sondern auch erhebliche Teile der sogenannten gesellschaftlichen Mitte, die sich den notwendigen Veränderungen entgegenstellt.
Denn das reaktionäre Verhalten ist nicht nur politisch zu bewerten, sondern auch daran, dass sich ein großer Teil der Gesellschaft aufzulehnen scheint, aus dem fossilen Energiezeitalter aussteigen zu wollen.
...
Theorie der nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit
Es kann festgestellt werden, dass die Überlegungen im Buch NNN einen tiefergehenden wahren Kern haben. Sie sind aus der Perspektive der Sozialwissenschaft entwickelt. Meine Analyse kommt aus der Perspektive der Ökologie und der Ökonomie.
Die Schnittmengen sind groß, aber nicht überraschend. Es wäre sinnvoll, neben diesen Bereichen auch andere wissenschaftliche Disziplinen einzubinden: psychologische, philosophische, naturwissenschaftliche, politische, juristische, kulturelle oder andere Sichtweisen.
Die Suche nach den Gemeinsamkeiten wäre ein Anfang. Wenn Gemeinsamkeiten gefunden werden, wäre Handeln ein guter Weg, den Herausforderungen zu begegnen.
Vier Kernüberlegungen aus dem Buch NNN lauten:
@ Eine sozial-ökologische Transformation findet nicht statt.
@ Die Überlegungen haben einen falschen Text.
@ Nachhaltigkeit ist ein längst abgespieltes Stück.
@ Es gibt heute bereits mehr als reichlich konkrete Lösungsansätze und Handlungsperspektiven.
Widerspruch
So nachvollziehbar für mich die Prämissen und die Argumentation im Buch NNN sind, so sehr widerspreche ich der Konklusion, der Schlussfolgerung. Warum?
Transformieren heißt im Wortsinn „umwandeln, umformen, verwandeln, verändern, formen, gestalten, bilden“. Eine Transformation bedeutet beispielsweise im Verkehrssektor der Umstieg vom Pferd und der Kutsche als Verkehrsmittel hin zum Auto. Bei Medien ist Transformation der Umbruch von einem Wählscheibentelefon mit Kabel hin zum Smartphone und Funkmasten. Oder beim Film anschauen mit VHS-Videokassetten das heutzutage übliche Streamen eines Films.
Bei einer Transformation wird ein bislang dominantes System von einem anderen System weitgehend verdrängt.
Wer im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung, dem Klimawandel oder der Energiewende von Transformation spricht, liegt schon deshalb falsch, weil es bei der „Verdrängung“ fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas bisher KEINE Transformation gegeben hat, vielleicht in Ansätzen. Eine „Verdrängung“ von CO2äq-Emissionen hat bisher kaum stattgefunden.
Eine nachhaltige Entwicklung der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Systeme hat nicht in dem Maße stattgefunden, wie es für ein tragfähiges Gesamtkonzept notwendig wäre.
Vielmehr wurde das Konzept der Nachhaltigkeit okkupiert von der Illusion einer öko-sozialen oder sozial-ökologischen Transformationsbewegung, die tendenziell eher den anti-kapitalistischen Ansatz definiert, anstatt sich auf den in der Realität durchaus notwendigen kapitalismuskritischen Ansatz zu konzentrieren.
Wenn angesprochen wird, dass die Überlegungen zur Nachhaltigkeit einen falschen Text haben, dann sollte man endlich die Begriffe klären. Eine öko-soziale oder sozial-ökologische Umgestaltung ist noch lange keine nachhaltige Umgestaltung.
...
Zwischen Einsicht und Erstarrung
Wenn Wissen nicht reicht – Die Trägheit des Veränderungswillens
Wir leben im Überfluss an Erkenntnis – und im Mangel an Veränderung.
Erkenntnis ist da – aber sie allein bringt die Verhältnisse nicht ins Wanken.
Es liegt nicht an fehlenden Antworten – sondern an den Fragen, die wirklich etwas in Bewegung setzen.
Was wir wissen, reicht längst. Was wir fragen, noch lange nicht.